Die Bedeutung der Privatsphäre

Warum führen Menschen in Deutschland eine sehr private Lebensweise? In Deutschland fällt mir immer wieder auf: Menschen leben oft dicht nebeneinander und wissen dennoch wenig voneinander. In einem Haus mit zehn Wohnungen kann es passieren, dass sich Nachbarn nach Jahren noch siezen und nur flüchtig grüßen.

 

Für jemanden wie mich, der aus Afghanistan kommt, wirkt das im ersten Moment fast unvorstellbar. Dort ist Nachbarschaft mehr als nur Wohnen nebeneinander, es ist ein Teil des sozialen Lebens. Man kennt sich, besucht sich, teilt Freude und Sorgen. Doch in Deutschland ist Distanz ein Zeichen von Respekt. Man vermeidet es, ungefragt Fragen zu stellen oder sich "einzumischen".

In der journalistischen Beobachtung fällt auf, dass Privatsphäre hier nicht nur eine persönliche Entscheidung ist, sondern fast schon eine gesellschaftliche Norm. Wer sie missachtet, kann schnell als aufdringlich gelten, auch wenn die Absicht eigentlich freundlich war.
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb versuchen viele Afghan:innen in Deutschland, ihre Kultur der Offenheit zumindest in kleinen, passenden Momenten weiterzuleben. Nicht durch große Feiern oder spontane Besuche wie früher, sondern dezent: ein Gespräch beim Freitagsgebet, ein Händedruck nach dem Unterricht der Kinder, eine Einladung zum Tee bei besonderen Anlässen wie Eid oder einer Hochzeit.

Solche Gelegenheiten sind selten, aber bedeutend. Sie geben ein Gefühl von Gemeinschaft, das im Alltag oft fehlt und zeigen, dass Nähe auch unter neuen Bedingungen möglich ist.
Einmal beobachtete ich auf einem kleinen Fest einen Moment, der für mich viel sagte: Zwei Männer, einer aus Deutschland, einer aus Afghanistan, standen nebeneinander, lachten über denselben Witz, tauschten Telefonnummern aus. Kein großes Ereignis, kein öffentliches Zeichen, aber echte Verbindung.


Vielleicht ist das der neue Weg, wie kulturelle Wärme in einer Gesellschaft mit klaren Grenzen Platz finden kann. Nicht laut, nicht aufdringlich, aber ehrlich und menschlich.

 

Hedayatullah Zyarmal

Bruchhausen-Vilsen im Juni 2025